Jahresrückblick 2023

Etwas verspätet wollen auch wir einen Blick auf ein verkehrspolitisch gesehen leider sehr enttäuschendes Jahr 2023 zurückwerfen.

Ein erster Hauch von Radschnellweg
Ein erster Hauch von Radschnellweg © ADFC Erlangen | Michael Zell

Fahrradstadt ohne Radbeauftragte:n und Aus für AG Radverkehr

Seit April hat die Stadt faktisch keine:n Radverkehrsbeauftragte:n mehr. Drei Radbeauftragte haben die Stadtverwaltung Ende 2022 und im Laufe des Jahres 2023 aus verschiedenen Gründen verlassen. Ein Ersatz ist leider weiterhin nicht in Sicht. Zuständig ist der/die Radbeauftragte u.a. für die Organisation der AG Radverkehr. Die 1972 unter SPD-Altoberbürgermeister Dietmar Hahlweg und Dietmar Habermeier ins Leben gerufene AG Radverkehr hat - oder besser hatte - das Ziel, zentrale Radverkehrsthemen zu besprechen. Die erste und einzige Sitzung des Jahres fand im März statt, im Anschluss wurde die AG unter Florian Janik und Josef Weber beerdigt und aus Synergiegründen durch die “AG Nahmobilität” ersetzt. [Anmerkung: so sehr wir die Ausweitung des fachlichen Austauschs zwischen Verbänden und Verwaltung auf den Fußverkehr begrüßen, halten wir angesichts der jeweiligen Bedeutung und der unterschiedlichen Bedürfnisse von Fuß- und Radverkehr getrennte AGs für gerechtfertigt.] Mangels Radverkehrsbeauftragtem tagte diese AG aber kein einziges Mal, ein nächster Termin ist nicht absehbar. Wie der aktuelle Bearbeitungsstand der offenen AG Rad Tagesordnungspunkte ist, ist uns unbekannt. Ein echter Austausch zwischen Stadtverwaltung und dem ADFC bzw. der Erlanger Bevölkerung zum Thema Radverkehr findet somit aktuell leider nicht mehr statt. Leider erkennen wir auch kein Bestreben von Seiten des OBs, der Stadtverwaltung und der Politik - insbesondere der drei größten Fraktionen - daran etwas zu ändern.

Kaum Fortschritte bei der Umsetzung des “Zukunftsplan Fahrradstadt”

Die nachhaltige Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur, die wir 2021 mit dem Bürgerbegehren “Radentscheid Erlangen” anstoßen wollten, lässt weiterhin auf sich warten. Einerseits werden die Verzögerungen bei der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen regelmäßig mit fehlendem Personal begründet, andererseits schafft die Politik nicht die neuen Stellen, die sie selbst im "Zukunftsplan Fahrradstadt" (ZPF) zugesagt hatte. Auch im Haushalts- und Stellenplan 2024 wurde eine weitere zugesicherte Stelle nicht berücksichtigt. Zusätzlich sinken die Investitionen ins Geh- und Radwegenetz mit dem am 11.01.2024 beschlossenen Haushalt das zweite Jahr in Folge von 5,4 Mio. € in 2022, über 2,1 Mio. € in 2023 auf nunmehr nur noch 1,5 Mio. € in 2024. Das sind etwas mehr als 13 € pro Einwohner:in pro Jahr. Im Zukunftsplan Fahrradstadt hatte sich die Stadt allein für das Radwegenetz eine Größenordnung von jährlich mindestens 45 € bzw. perspektivisch sogar 70 € pro Einwohner:in zum Ziel gesetzt.

Ein erster Hauch von Radschnellweg

Erste positive Veränderungen sind trotzdem zu erkennen. Die 2022 begonnene und 2023 abgeschlossene Sanierung des Geh- und Radwegs nördlich des Zentralfriedhofes gibt Radfahrenden auf ca. 250 m einen ersten Vorgeschmack, wie es sich anfühlt, auf einem Radschnellweg zu fahren. Fuß- und Radverkehr sind klar voneinander getrennt, der Radweg hat eine ausreichende Breite, bietet genügend Platz zum Überholen und weist eine glatte Asphaltdecke auf. Dieses Teilstück kann gerne als Vorbild für weitere Radwege in Erlangen dienen. Einziger Wermutstropfen bleibt die Kreuzung des Geh- und Radwegs mit der Äußeren-Brucker-Straße, die durch ihre verwirrende Wegführung regelmäßig für Konflikte zwischen Radfahrenden und zu Fuß Gehenden sorgt. Die Kreuzung sollte laut Zukunftsplan in 2024 umgestaltet werden, wurde aber in den Haushaltsberatungen auf später verschoben.

Mit der Fertigstellung des neuen Radwegs und der Brücke über die Aurach im Regnitzgrund wurde eine weitere Lücke im - insbesondere bei Radtouristen sehr beliebten - Regnitztalradweg geschlossen. Aber auch Berufspendler:innen profitieren von dem Lückenschluss, wenn z.B. mal wieder die Kanalunterführung unter Wasser steht. Leider wurden die angrenzenden Bestandswege in Richtung Herzogenauracher Damm nicht verbessert. Sie weisen im Vergleich zu den im Regnitzgrund weiter nördlich gelegenen Radwegen deutliche Defizite in Sachen Fahrbelag, Beleuchtung, Hochwasserschutz und Winterdienst auf. Die Stadt Erlangen verpasst so die Chance, mehr Pendler:innen aus Hüttendorf, Kriegenbrunn und Frauenaurach durch attraktive Radverbindungen zum Umstieg auf das Rad zu motivieren.

Anfang 2023 erfolgte die Freigabe des bereits 2022 zum größten Teil fertiggestellten Geh- und Radwegs zwischen der Buckenhofer Siedlung und der Kurt-Schumacher-Straße entlang der Johann-Kalb-Sportanlage. Dieser ersetzt zum Teil den alten Forstweg und bietet Radfahrenden eine allwettertaugliche, asphaltierte Alternative zur Verbindung zum “Obi-Kreisel”. Leider fehlen bis heute die zugesagten Randmarkierungen, die bei Dunkelheit ein zusätzliches Plus an Sicherheit gewährleisten sollen.

Positiv ist auch, dass das "1000-Bügel-Programm", im Rahmen dessen alte Abstellanlagen erneuert und neue Fahrradbügel im Innenstadtbereich installiert werden, fortgesetzt wurde. Der kostenlose Lastenradverleih der Stadt wurde in 2023 ebenfalls fortgeführt und ausgeweitet. Auch der Ausbau der Mobilpunkte schreitet in 2023 voran, allerdings in deutlich kleineren Schritten als es sich die Stadt selbst vorgenommen hatte. Leider wurde selbst an neuen Mobilpunkten auf die Installation von E-Ladesäulen an Carsharing-Parkplätzen verzichtet, was die Möglichkeit von elektrischem Carsharing erschwert.

Viele zugesagte Maßnahmen wurden verschoben

Mit dem Umbau der Kreuzung Am Europakanal/Dorfstraße wurde in 2023 nur ein einziges größeres Projekt aus dem Zukunftsplan Fahrradstadt angegangen. Aufgrund von Verzögerungen wird die Kreuzung erst im Mai 2024 fertiggestellt, eine Bewertung kann daher noch nicht erfolgen. Die ursprünglich ebenfalls für 2023 geplante Umsetzung einer sog. Umweltspur Am Europakanal zwischen Membacher Steg und Büchenbacher Damm wurde infolgedessen auf 2024 verschoben.

Leider wurden auch zahlreiche andere für 2022 bzw. 2023 geplante Maßnahmen nicht umgesetzt und auf spätere Jahre verschoben.

So erging es z.B. der Fahrradabstellanlage am Bahnhof, die ursprünglich für 2018 vorgesehen war und im Zukunftsplan Fahrradstadt für 2021 zugesagt wurde. Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen 2023 wurde der Bau dann erneut um mehrere Jahre verschoben, auch wenn danach kurzzeitig Hoffnung aufgrund eines Förderprogramms des Bundes aufkam. Unser Hinweis auf ein in unseren Augen geeigneteres Förderprogramm fand leider keine Beachtung, der Förderantrag wurde wie von uns befürchtet abgelehnt. Die für 2023 geplante Bike+Ride Anlage am Siemens Campus wurde gar auf unbestimmte Zeit verschoben.

Keine neuen Fahrradstraßen

Überhaupt kein Fortschritt gab es beim Thema Fahrradstraßen. Es wurden weder neue Fahrradstraßen ausgewiesen, noch wurden bestehende Fahrradstraßen gemäß Gestaltungsleitfaden umgestaltet. Dabei steht im Zukunftsplan, dass pro Jahr etwa 2 km Fahrradstraßen neu ausgewiesen werden sollen. Hohe Priorität sollte dabei die ursprünglich für 2022 geplante Ausweisung der Hofmannstraße erhalten, die jedoch auch letztes Jahr nicht zur Fahrradstraße wurde. Ebenfalls nicht erfolgt ist die für 2023 zugesagte Umgestaltung der Michael-Vogel-Straße. Das ist besonders bitter, da der Zugewinn an Komfort und Sicherheit für den Radverkehr durch Umgestaltung nach Leitfaden dort am größten wäre. Die konsequente Umsetzung des 2019 beschlossenen Gestaltungsleitfaden für Fahrradstraßen wird weiterhin ausgesetzt. Der rote Beistrich, der als zentrales Wiedererkennungsmerkmal dient, wird seit 2022 nicht mehr aufgetragen und ist in vielen Fahrradstraßen bereits wieder bis zur Unkenntlichkeit verblasst. Ob das Ziel der Stadt, alle bestehenden Fahrradstraßen und die Hofmannstraße bis spätestens 2024 nach Leitfaden umzusetzen, noch zu halten ist, ist daher sehr fraglich - doch die Hoffnung stirbt zuletzt.

Bürger:innen finden keine Informationen zum Umsetzungsstand des Zukunftsplans

Auch drei geplante Radwegebevorrechtigungen wurden in 2023 letztlich nicht umgesetzt. Daneben warten weitere für 2021 und 2022 zugesagte Maßnahmen auf ihre Umsetzung, u.a. das Schulstraßen-Pilotprojekt, die Erarbeitung eines Programms zur Stärkung des Radverkehrs im schulischen Umfeld, die Einrichtung einer Fahrradzone und die Ausweisung weiterer Grünpfeile für den Radverkehr. Die jährliche Berichterstattung und die transparente Präsentation der Zwischenstände auf der Webseite der Stadt bleibt ebenfalls stark ausbaufähig bzw. fehlt komplett. Bemerkenswert finden wir in diesem Zusammenhang, dass nicht einmal der Zukunftsplan selbst auf der Homepage zu finden ist, man muss ihn im Ratsinformationssystem suchen und findet ihn nur zur Stadtratssitzung von 2021. Es ist daher für die Bürgerschaft nahezu unmöglich, sich selbst ein Bild von der Umsetzung des Zukunftsplans zu machen - ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Fort- und Rückschritte durch Fahrbahndeckensanierungsprogramm

Das Deckensanierungsprogramm wurde auch in 2023 genutzt um Verbesserungen für den Radverkehr zu verwirklichen. So wurde auf  der Westseite der Hauptstraße zw. Schwabachbrücke und Martin-Luther-Platz ein roter Schutzstreifen samt Aufstelltasche markiert.

Die Sanierung der Fürther Straße wurde ebenfalls genutzt, um im Bereich zw. Tennenloher und Felix-Klein-Straße einen roten Schutzstreifen auf der Ostseite zu markieren. Im vorher durchgängigen Schutzstreifen im nördlichen Teil der Fürther Straße klafft nach der Deckensanierung allerdings eine ca. 100 m lange Lücke. Vor den Parkbuchten wurden nur noch Fahrradpiktogramme aufgetragen. Anstatt eine durchgängige und homogene Radverkehrsinfrastruktur zu fördern, wird dem ruhenden motorisierten Verkehr von der Stadt weiterhin eine höhere Priorität eingeräumt als dem fließenden Radverkehr. Grund für die Zerstückelung ist eine neue Version eines Regelwerks, durch die dem Radverkehr eigentlich mehr Platz zugestanden werden soll, die von der Stadtverwaltung Erlangen - trotz massivem Protest des ADFC Erlangen - aber zu Gunsten des Kfz-Verkehrs und zu Lasten des Radverkehrs ausgelegt wurde. Die von der Bürgerversammlung Bruck vor Jahren geforderte Überquerungshilfe in der Fürther Straße auf Höhe der Leipzigerstraße wurde hingegen nicht geschaffen. Genauso erging es letztes Jahr auch der eigentlich bereits zugesagten, dann aber doch nicht umgesetzten Querungshilfe am Herzogenauracher Damm.

Letztes Jahr wurde der Parkplatz an der Südwestseite des Dechsendorfer Weihers ausgebaut. Dabei sollten spätestens im Oktober auch 126 teilweise überdachte Fahrradstellplätze entstehen. Leider wurde der Großteil der Abstellbügel immer noch nicht installiert.

Des Weiteren wurde der Kreuzungsbereich Halbmondstraße/Universitätsstraße hinsichtlich der stark frequentierten Radwegachse den Erfordernissen angepasst. Um zusätzlich noch den Charakter einer Fußgängerzone deutlicher hervorzuheben, wurde in der Universitätsstraße zwischen Halbmondstraße und Hauptstraße ein aufgehellter Asphaltbelag eingebaut. Leider muss festgehalten werden, dass die Unterschiede zur vorherigen Gestaltung nur marginal sind und keine signifikanten Verbesserungen darstellen.

Radentscheid Bayern auf Landesebene als unzulässig erklärt

Auch der bayernweite Radentscheid, der endlich klare rechtliche Grundlagen für alle Gemeinden in Bayern schaffen sollte, wurde von der bayerischen Staatsregierung ausgebremst, indem auf ihren Antrag hin der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Zulässigkeit verneinte. Das Rad-Gesetz, das die Staatsregierung im Sommer dann selber mit heißer Nadel und ohne Beteiligung der Fachleute des ADFC bastelte, kann das Ziel, flächendeckend sichere, komfortable Rad-Infrastruktur zu schaffen, zu unser aller Lebenszeit niemals erreichen: Es sollen bis 2030 zwar 1500 km neue Radwege gebaut werden. Doch das bedeutet im bayerischen Durchschnitt lediglich 91m pro Jahr und Gemeinde! Das im Radverkehrsprogramm Bayern 2025 angekündigte bayernweite Radverkehrsnetz wäre bei diesem Tempo erst im Jahr 2160 Realität!

Änderung des StVG auf Bundesebene von Bundesrat abgelehnt

Und wenn wir auf die Bundesebene schauen, ist der Wille zur schnellen Verkehrswende erst recht nicht erkennbar. Wie sonst ist es erklärbar, dass der Bundesrat die geplante Änderung des StVG, die Klimaschutz und Gesundheit als relevante Kriterien festhalten sollte und somit u.a. den Gemeinden auf deren vielfachen Wunsch hin mehr Rechte bei der Anordnung von Tempo 30 Zonen zu geben, kurzfristig abgelehnt hat? Auch die bayerische Staatsregierung hat hier trotz anderslautender vorheriger Position aus vermutlich parteitaktischem Kalkül diese notwendige Gesetzesinitiative abgelehnt. Mehr Tempo 30 wäre eine so einfach umzusetzende Maßnahme, die unmittelbar mehr Sicherheit bringt für Fußgänger und Radler.

Auch in unserem Landkreis gibt es Gemeinden ohne jegliche Rad-Infrastruktur. Wer von Dorf zu Dorf radeln will, braucht Mut, weil er dies oft nur auf der Straße ohne jeglichen Schutz vor PKW und LKW kann. Es ist deshalb kein Wunder, dass Menschen auf dem Land sagen, sie seien aufs Auto angewiesen. Es soll aber doch jeder die Möglichkeit haben, durch Radfahren etwas für seine Gesundheit und die Umwelt zu tun. Deshalb setzt sich der ADFC auch 2024 intensiv dafür ein, dass jeder, der radeln will, dies sicher und bequem tun kann. Letztlich haben wir nämlich nur gute und sichere Radinfrastruktur, wenn unsere Kinder diese selbstständig nutzen können.

https://erlangen.adfc.de/neuigkeit/jahresrueckblick-2023-1

Bleiben Sie in Kontakt